Ist gutes Essen Luxus?

"Sonntag Aktuell" sprach mit Slow-Food-Vorstand Otto Geisel

Gutes Essen hat nichts mit Luxus zu tun. Es ist einfach ein elementarer Bestandteil unserer Kultur - von Anfang an. Erst als der Mensch sein erlegtes Tier nicht mehr roh frisst, sondern kocht, beginnt doch unsere Kulturgeschichte. Natürlich: Wenn das Essen aus sehr guten Zutaten besteht, mit Poesie zubereitet wird, in einem aufwendigen Rahmen und einem bestimmten Ambiente präsentiert wird, wird es automatisch zum Luxusprodukt und das hat seinen Preis.
Doch wenn alles stimmt, die Qualität, der Service, die Gastfreundschaft, dann ist Geld nicht das Problem. Die Diskussion über den Preis des Essens ist sowieso ein spezifisch deutsches Phänomen: In anderen Ländern wird die Wertigkeit der Nahrung weit höher eingeschätzt. Ein paar Zahlen: In Deutschland wird zwanzig Prozent weniger für Essen ausgegeben als im EU-Durchschnitt. Und: 50 Prozent aller Lebensmitteldiscounter stehen in Deutschland, die andern 24 EU-Länder teilen sich den Rest. Diese Billigmentalität hat mit unserer Nachkriegsgeschichte zu tun: Nie wieder hungern, lautete die Devise, von nun sollten an alle Lebensmittel in immer gleicher Qualität verfügbar sein. Da hat man sich natürlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt, der auf regionale oder saisonale Besonderheiten keine Rücksicht nimmt. Und wenn einem jahrzehntelang vorgegaukelt wird, dass Tomaten immer gleich aussehen und gleich schmecken - im Zweifelfall nach nichts - dann entscheidet natürlich der Preis. Wir lernen ja jetzt erst wieder, dass Tomaten auch Rillen haben können und dass Rindfleisch mehr ist als ein Abfallprodukt aus der Milchwirtschaft.
Es stimmt, dass heute weniger Leute in die Gourmetrestaurants kommen, doch die Krise der Spitzengastronomie mehr eine Sinn- als eine Wirtschaftskrise. Wenn vor zehn Jahren jemand einem anderen eine Freude machen wollte, hat er ihn ins beste Restaurant der Stadt eingeladen. Heute ist es das Höchste, Gäste zu sich nach Hause einzuladen und sie zu bekochen. Die Jungen haben nicht umsonst "authentic" und "basic" auf ihren T-Shirts stehen. Sie suchen genau das, auch beim Essen. Deshalb werden ja die einfachen Trattorien in Italien so hoch gehandelt.
Bei uns verstecken sich die Gastronomen hinter zu vielen Formalismen: Dazu gehört die Berieselung mit feierlicher Musik ebenso wie das Ansagen der Gänge durch schwarzbefrackte Kellner, die das Gespräch unter den Gästen stören. Und wenn dann noch die silbernen Cloches gleichzeitig von den Tellern hochgezogen werden müssen, was natürlich erst dann gemacht wird, wenn jeder still ist, ist die Unterhaltung vollends verstummt. Es mag Gäste geben, die solche Inszenierungen schätzen, ich halte sie für überholt. Gute Gastronomie hat auch mit Zurückhaltung zu tun. Nichts schlimmer als etwa ein überkluger Sommelier. Da bestellt ein Mann in Erinnerung an die Flitterwochen an der Loire eine Flasche Pouilly-Fumé für sich und seine Frau. Und der Sommelier, der gelernt hat, dass dieser Wein aus Sauvignon-Trauben gemacht hat, weiß nichts besseres, als einen höherwertigen Sauvignon aus Neuseeland zu empfehlen. Als ginge es darum und nicht um das Gefühl, das der Gast heraufbeschwören will.
Wobei Geschmack sowieso nicht zu quantifizieren und in keine mathematische Formel zu packen ist: Ein zweihundert Euro teurer Wein schmeckt nicht unbedingt zwanzig mal besser als einer, der zehn Euro kostet.
Es gibt so manche Fehlentwicklungen in der Gastronomie, die mit einem falschen Verständnis von Luxus zu tun haben. Zum Beispiel die ausgesprochene Vorliebe fürs Rinderfilet. Ein Rind besteht nun einmal nur aus 1,3 Prozent aus Filet. Mehr als zwanzig Portionen kann man aus den zwei Filets die ein Rind hat, nicht schneiden, davon wird keine Hochzeitsgesellschaft satt. Deswegen wird Filet aus Argentinien dazugekauft. Hier beginnt die Doppelmoral der Luxusküche: In Deutschland sind
wachstumsbeschleunigende Hormone in der Rinderzucht zwar verboten, aber Fleisch, das so hergestellt wird, darf importiert werden. Wir haben als Gastronomen eine große Verantwortung, was wir unserem Gast servieren. Ich möchte niemandem ein in irgendeiner Form manipuliertes Produkt vorsetzen. Die Gewährleistung habe ich nur wenn ich nahe beim Kochtopf einkaufe. Der Wildlachs aus Norwegen, der Hummer aus Kanada wird selbstverständlich irgendwo zwischengelagert, bevor er auf den Teller kommt, und diese Lagerung ist möglicherweise ziemlich unappetitlich. Übrigens: Es gibt weder in Frankreich noch in Italien einen bedeutenden Gastronomen, der seine Lebensmittel von sehr weit weg holt. Diese Köche verarbeiten logischerweise das, was sie vor der Haustüre finden. So entsteht der Geschmack einer Region.
Luxus kann manchmal ganz einfach sein, in der Musik wie in der Gastronomie. Mozart oder Beethoven kann man nachpfeifen. In der Einfachheit, im Reduzierten, Regionalen entfaltet sich Topqualität in der Küche. Ein perfektes Essen in einem großen Restaurants besteht vielleicht nur aus einem Stück frischen Fisch mit einem Faden Olivenöl. Dieser Genuss ist kaum steigerungsfähig Für mich ist es Luxus, wenn ich mich im Restaurant aufgehoben fühle, die Zeit keine Rolle spielt, ein tiefes Gespräch entsteht. Wenn dann noch ein gutes Essen und entsprechender Wein dazukommt - das kann das Beste sein, was man erleben kann.
Genuss verbindet, nirgends lässt sich besser reden, als einem Tisch. Den Rahmen dafür kann ein Landgasthof genauso bieten wie ein Sternelokal. Der größte Luxus ist vielleicht das Genießen im vollen Bewusstsein der Flüchtigkeit, der Unwiederbringlichkeit der Augenblicks. Ähnlich wie bei einem guten Konzert: Auch hier kostet die Karte vielleicht 150 Euro, wofür ich mindestens sechs CDs kaufen könnte. Und doch ist das einmalige Erlebnis durch nichts zu ersetzen.

Aufgezeichnet von Dorothee Schöpfer

Sonntag Aktuell vom 26. Juni 2005