navigator: Startseite >> Asien >> Naher Osten >> Plus

Von Ulrike Putz

Der erste Eindruck ist nicht der beste. Es ist halb vier Uhr morgens, der libanesische Grenzbeamte hat mürrisch seine Stempel in den Paß geknallt, übernächtigt sammeln die Fluggäste ihre Koffer vom Band. Dann gleiten die Schiebetüren des Beiruter Flughafens auf. Und schon sind sie da: Zwanzig, dreißig Taxifahrer umdrängen die Ankömmlinge. "Taxi!", "Chauffeur?" prasselt es auf die herein, die auch nur Sekunden zögern.


Im Reiseführer stand, daß eine Fahrt vom Flughafen zum Hotel etwa fünf Euro kosten sollte. Warum also ruft die Meute der Männer Preise von dreißig, vierzig Euro? Doch irgendwie müssen wir ja weg von hier. Und so sitzen wir Minuten später in einem uralten Mercedes, der Richtung Innenstadt schlingert, und haben unsere erste Lektion in Sachen arabischer Etikette gelernt: Nicht zu feilschen ist unhöflich. Wie sonst ließe sich erklären, daß der Fahrer brummig ist, wo er doch ein Vielfaches des üblichen Preises kassiert.

Zweimal kurz hupen


Vielbefahren: die Straße Sharia ath-Thawra
Warum der Nahe Osten das Paradies für alle ist, die gern Taxi fahren, zeigt sich am nächsten Morgen. "Statt Stadtrundfahrt nehmen Sie ein Sammeltaxi", schärft uns der Hotelportier ein. "Die erkennen Sie daran, daß sie jeden Fußgänger zweimal kurz anhupen. Sie steigen einfach zu, zahlen für kurze Strecken fünfzig Cent, für lange einen Euro."

Etwas später zieht vor dem heruntergekurbelten Fenster eines ramponierten Mercedes der Beiruter Bilderreigen an uns vorbei. Pockennarbige Kriegsruinen, spiegelverglaste Apartmentblöcke, Starbucks, Moscheen und Kirchen, Granatapfelsaftläden, ein Virgin-Mega-Store. Zwischen Baulücken glitzert das Mittelmeer, vor Friseurläden singen Vögel in winzigen Käfigen, wie ein lebendes Ladenschild. Elektrogeschäfte führen auf dem Bürgersteig ihre Ventilatoren vor und blasen heiße Luft ins Auto.


Im bananengelben Taxi von Beirut nach Damaskus
Von Abu Yassin, dem wir irgendwann den einen Euro für die lange Tour nach vorne gereicht haben, lernen wir, warum man im Libanon an roten Ampeln traditionell nicht hält: Die Scharfschützen des Bürgerkrieges nahmen jeden ins Visier, der bremste. Wir lernen auch, wie man anhand der Politikerplakate an den Hauswänden erkennt, ob man in Ost- oder West-Beirut ist. Auf der Corniche, der Strandpromenade, mischen sich Angler, Jogger, Nannies mit ihren Zöglingen, Studenten, fliegende Händler und Badegäste. In der Hamra Street, der Lebensader des muslimischen Westens, halten Jungs ohne Schuhe Ketten aus aufgefädelten Jasminblüten ins Auto "For Madame, only 1000 Pound". Also fünfzig Cent. Vor dem legendären Cafe Wimpy sitzen Herren beim Backgammon, mischt sich der Kardamomduft des Kaffees mit dem Menschengeruch der drei Bauarbeiter, die kurz zuvor zugestiegen sind.

Hizbullah am Spiegel

Taxifahren ist im Nahen Osten kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Wo es kaum öffentlichen Nahverkehr, aber viele Klassenschranken gibt, ist die Rückbank des Sammeltaxis der urdemokratische Ort, an dem sich alle Schichten näherkommen. Im wahrsten Sinne, denn höfliche Distanz wird hier nicht gehalten. Wer also beschließt, zwischen Beirut und Jerusalem per Taxi zu reisen, darf sich auf einiges gefaßt machen: Auf die nie versiegende Neugier, mit der einen die zusteigenden Mitfahrer nach dem Woher und Wohin aushorchen, auf Vorträge zu Politik, Fußball, Religion, die in einer Mischung aus viel Arabisch und sehr wenig Englisch (oder Französisch) gehalten werden, auf Kleinkinder, die einem ungefragt auf den Schoß gesetzt, Snacks und zuckrigsüße Getränke, die einem herzlich, aber bestimmt aufgenötigt werden. Nur im Taxi erlebt man all dies, mehr Land und Leute geht nicht.


"An roten Ampeln wird raditionell nicht gehalten"
Abenteuerlich wird es, als wir Beirut hinter uns lassen. Die Charles-Helou-Busstation unter einer Autobahnbrücke im Beiruter Industriegebiet gleicht dem Parkplatz am Filmset für einen amerikanischen Autoverfolgungsfilm aus den 70ern. Dutzende klassischer Dodges und Chryslers stehen mit laufenden Motoren, ihre Besitzer vertreiben sich die Zeit, indem sie Rostflecken mit bananengelber Farbe überpinseln. Nähern sich Fahrgäste, entsteht Tumult. Schließlich steht fest: Wir fahren mit Faris, der seinen Schlitten sichtlich liebt. An der Decke prangt ein Miniaturkronleuchter aus Glas, Perserteppiche dienen als Fußmatten, Gardinen, von der Sonne grün gebleicht, wahren die Privatsphäre muslimischer Damen. Die Libanonflagge, eine Gebetskette und ein Bild des Hizbullah-Führers Nasrallah baumeln am Rückspiegel.

Ein Höllentrip für acht Euro pro Person

Hundertzwanzig Kilometer werden wir und zwei Mitfahrer mit Faris fahren, erst hinter Beirut hinauf in das Libanon-Gebirge, dann hinab ins Beeka-Tal, über die Grenze und dann geradeaus in die syrische Hauptstadt: Die schönste Überlandstrecke am östlichen Mittelmeer, ein Höllentrip, der acht Euro pro Person kostet und drei Stunden Todesangst bedeutet.


Zehn Taximinuten von Corniche: Schatila, ehemals palästinensisches Flüchtlingslager
Denn Faris rast, daß einem schlecht wird: Überholt ohne Sicht, aber mit einem Gebet auf den Lippen, schneidet Serpentinen, daß der Rollsplit aufspritzt, fährt so dicht auf, daß man meint, den Wunderbaum im Auto des Vordermanns zu riechen. Erst im Beeka-Tal chauffiert Faris wieder so, daß man herausschauen will. Hier wachsen Wein, Kichererbsen. Bauern mit ausladenden Sonnenhüten beugen sich über Weizengarben, an den Wassergräben wiegen sich Pappeln im Wind.

Verdunkelte Jeeps

Am Al-Jdeydeh-Grenzübergang geht die Geschwindigkeit dann gegen Null. Neben uns steht eine Drusenfamilie, die ein lebendes Schaf auf dem Autodach festgezurrt hat. Es blökt erbärmlich. Saudis und Kuweitis in verdunkelten Hummern und Mercedes-Jeeps, Reisebusse, irakische Familien auf dem Heimweg. Kleinlaster mit den in Syrien offiziell nicht erhältlichen Getränken von Coca-Cola, zahllose bananengelbe Taxis verstopfen den Engpaß am Grenzerhäuschen. Eine Stunde lang stehen wir in der überfüllten Schalterhalle unter Fotos von Syriens Präsident Assad nach Visa an, als plötzlich alles zum totalen Stillstand kommt. Es ist Freitag, die Sonne geht unter, in der Grenzstation, auf Bürgersteigen, auf Rasenfleckchen beugen sich die Menschen nach Mekka. Faris hat einen Gebetsteppich aus dem Kofferraum geholt und kniet neben seinem Dodge.

Damaskus ist keine Taxistadt. Die Wunder ihres Souks enthüllen sich nur dem Fußgänger, der sich vom Menschenstrom durch das Einkaufslabyrinth schieben läßt. Und auch die grau bebauten Hügel von Amman sind kein Ort, an dem man im Auto kutschieren möchte. Also geht es weiter, nach Jerusalem. Dazu muß man zuerst steil bergab, 400 Meter unter dem Meeresspiegel führt die Allenby-Brücke über den Jordan. Den letzten Kilometer müssen wir laufen, unser Fahrer will nicht weiter, ihm ist das nahe Israel unheimlich. In der Ferne schillert am tiefsten Punkt der Erde das Tote Meer, rundherum rotgelbe Wüste, entlang der Straße neigen sich Dattelpalmen. Vor uns liegt eine der heikelsten Grenzen der Welt: die zwischen der arabischen Welt und ihrem Erzfeind.

Warten, Fragen beantworten, Gebühren zahlen, wieder warten, noch mehr Fragen. Fünf Stunden dauert es, dann stehen wir auf israelischem Boden. Ein gerammelt voller palästinensischer Kleinbus fährt uns durchs Westjordanland hoch nach Jerusalem. Am Damaskus-Tor der Altstadt steigen wir um, in ein israelisches Taxi. Woher wir mit unseren Rucksäcken kommen, will der Fahrer wissen. Aus Beirut, mit dem Taxi. "Das gibt's doch nicht! Wie war's?" Der erste Eindruck war nicht der beste. Aber dann.


Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 28.08.2005, Nr. 34 / Seite V3

navigator
wählen Sie Ihr Ziel (interaktive Karte)
weltkarte
Nord-AmerikaEuropaAfrikaAsienAustralien Süd-Amerika Startseite | Kontakt | Suche

Gleich buchen im myplaces Reisebüro

myplaces Übersicht Naher Osten

Bitte beachten Sie auch die Reisewarnungen des Auswärtigen Amts.




Video: Schnee auf Zedern
Video: Die Tempel von Baalbek
Video: Weltwunder Bacchus Tempel
Video: Beiruts Corniche



Alle Fotos: © myplaces 2005