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BEI BOMBEN AN DIE BAR



AUS: SPIEGEL ONLINE

Das junge Beirut

 
Beirut - das "Paris des Nahen Ostens" - ist bekannt für seine moderne, polyglotte Jugend. Aber der Krieg hat auch ihr Leben verändert: Früher sind die jungen Beirutis Fanny und Ernesto ausgegangen, um sich zu amüsieren. Jetzt verbringen sie ihre Nächte in Bars, weil dort die Musik die Bomben übertönt.

Vier Stunden dauert der Krieg für Fanny und Ernesto. Vier Stunden, jeden Vormittag. Dann stellt das Elektrizitätswerk den Strom ab, die Schreckensbilder auf dem kleinen Farbfernseher des Paares schrumpfen zu einem Lichtpunkt und verschwinden. Dann verstummen die alten Kriegslieder, die in Endlosschleife das Grauen untermalen, und der stete Wind weht nur die Alltagsgeräusche der Nachbarn durch Fannys Dachgeschoss-Wohnung im Beiruter Christen-Stadtteil Achrafieye. Dann beruhigt sich die Katze Lucy wieder und verschwindet über die Dächer, um ihren Kater zu besuchen. Dann steht Ernesto auf, um Brunch zu machen: Omelett, Grapefruitsaft, arabisches Brot. Vier Stunden werden die beiden Ruhe haben vor dem Krieg, der über ihr Land gekommen ist. Vier Stunden, dann ist der Strom wieder da und damit das Fernsehen, dessen Bilder sie nicht sehen möchten und doch wie gebannt verfolgen.

Fanny und Ernesto: 'Jetzt sind wir in Beirut gefangen. Was kommt als nächstes?'
Foto: Spiegel Online
Fanny und Ernesto: "Jetzt sind wir in Beirut gefangen. Was kommt als nächstes?"
Fanny und Ernesto sind die Menschen, die in den vergangenen 15 Monaten den Libanon vor der Welt vertraten. Nicht sie persönlich natürlich, aber ihre soziale Schicht aus jungen, modernen Libanesen, polyglott und weitgereist. Sie waren es, die der Zedernrevolution nach dem Mord an Rafik Hariri im Februar 2005 das Gesicht gaben. Ein Gesicht, dass seine Tränen mit Vorliebe hinter Chanel- und Gucci-Sonnenbrillen verbarg.

Auch Fanny und Ernesto waren jeden Montag dabei, wenn gegen die syrische Einflussnahme im Libanon demonstriert wurde. Wie alle anderen glaubten sie, dass dieser Sommer 2006 der beste in der Geschichte des Libanon werden würde: Die Syrer weg, und dafür eine nie da gewesene Masse an unvorstellbar zahlungskräftigen Golf-Arabern in Hotels und Ferien-Villas. Dann kam der 12. Juli, die Hisbollah kidnappte zwei israelische Soldaten, die Seifenblase platzte. "Der Krieg ist das Lösegeld für die Demokratie", sagt Ernesto. "Der Libanon wurde immer offener, immer liberaler. Das konnten Syrien und der Iran nicht länger mit ansehen."

Die Ansicht hört man von jungen Leuten öfter: Dass der Kampf nicht so sehr mit der Hisbollah und Israel zu tun hat, sondern der Versuch der totalitären arabischen Regimes ist, dem toleranten, weltoffenen Leben im Libanon die Flamme auszublasen.

Seit Tag eins des Krieges im unbezahlten Zwangsurlaub

Fanny und Ernesto: Sie 29, Architektin in einem kleinen, feinen Beiruter Büro, die Mutter Französin, der Vater Arzt, Einkommen 1200 Dollar im Monat. Er 25, ein Cineast, Philosophiestudent und Vielredner, der vor dem Krieg mit DJ-Auftritten in den schicken Bars und Clubs der Stadt 1000 Dollar im Monat verdiente. Beide kommen aus christlich-orthodoxen Familien, für beide spielt das keine Rolle, Ernestos Ex-Freundin war Schiitin. Sie sind ein besonderes Paar, und doch stehen sie für viele Beirutis in diesen Wochen. Für die, die den Krieg in der zweiten Reihe erleben, die bislang - Hamdulillah, Gott sei Dank - keine Angehörigen verloren haben, in ihren Wohnungen bleiben konnten, vielleicht sogar wie Fanny einen europäischen Pass haben und doch noch ausreisen können, sollte die Lage noch schlimmer werden. Für die, deren größte Sorge das Geld ist: Wie lange noch reichen die Ersparnisse und was kommt danach, ist die dringlichste Frage für viele Hauptstädter.

Auch Fanny und Ernesto wissen, dass die paar Tausend Dollar auf ihren Konten nicht ewig reichen werden. Wie die große Masse Libanesen sind die beiden seit Tag eins des Krieges im unbezahlten Zwangsurlaub, haben wie viele ein paar Tage als Übersetzer für internationale Medien gejobbt und dafür 150 Dollar am Tag bekommen. Jetzt, wo die Fernsehteams weiter in den Süden ziehen, sitzen sie zu Hause und in Cafés und verlieren Tag für Tag ein bisschen mehr die Hoffnung auf ein Happy End und den Glauben an die westliche Welt.

Auch wenn das Geld nicht ewig reicht, einschränken wollen sich Fanny und Ernesto nicht. In dieser Stadt, in der zu Friedenszeiten ein Abend in Bars und Clubs schnell mal 300, 400 Dollar kosten kann, spart die Jugend erst als allerletztes am Vergnügen. Gestern abend waren Fanny und Ernesto wieder bis halb fünf Uhr morgens in ihrer Lieblingsbar "Torino", der einzigen, die während des Krieges nicht einen Tag zu gemacht hat. "Was sollen wir allein zu Hause sitzen und grübeln", sagt Fanny. "Mit ein paar Drinks ist alles leichter, auch der Krieg." Dass sie bis halb fünf blieben, ist nicht ganz zufällig: Die richtig lauten Bomben wirft die israelische Luftwaffe meist gegen vier Uhr morgens über Südbeirut ab. "Dann sitzen wir noch im Torino und die Musik übertönt die Detonation."

"Mich frustriert das totale Versagen von Ethik und Moral"

Als der Krieg begann, reagierten Fanny und Ernesto auf ihre Weise. Er legte sich einen Vorrat seiner Lieblingszigarren an: Romeo und Juliette, natürlich aus Kuba. Immerhin haben seine Eltern, beide eingefleischte Kommunisten, ihn nach Ernesto "Che" Guevara benannt. Fanny kaufte einen Großvorrat Spaghetti und lackierte sich die Fingernägel rot: Ein Farbklecks in den Zeiten trüber Aussichten.

"Was mich am meisten frustriert, ist das totale Versagen von Ethik und Moral bei uns", sagt Fanny an diesem Morgen nach durchzechter Nacht und meint mit dem "uns" Europa, dem sie sich wie viele der jungen Elite Beiruts zugehörig fühlt. "Immer halten wir Europäer die Menschenrechte hoch, die Genfer Konventionen, die Gesetze, die regeln sollen, was in Kriegen erlaubt ist und was nicht. Dabei zeigt dieser Krieg ganz deutlich, dass wir bereit sind, all das zu vergessen, wenn es nur in unserem Interesse ist", sagt sie. "Das ist doch alles Bullshit." Niemand werde Israel nach dem Krieg zur Rechenschaft ziehen, weder für die toten Libanesen, noch dafür, dass es den Libanon um 20 Jahre zurück gebombt hätte. "Das konnte man mit Slobodan Milosevic machen, aber doch nicht mit Israel, das ist unanstastbar."

Ernesto reagiert ungehalten, wenn er gefragt wird, ob es nach dem Krieg weiter gehen wird. "Warum glaubst Du denn, dass das hier das Ende ist?" 30 Jahre lang habe sich der Libanon von Tag zu Tag mit dem Krieg arrangiert, das werde auch in Zukunft funktionieren. "Meine Sorge ist nur die Uni. Mir fehlt nur noch ein Schein, und wenn die Flüchtlinge in den Uni-Gebäuden wohnen bleiben, kann ich mein Studium nicht abschließen." So ganz glauben kann man seinem Zweckoptimismus nicht: Immer wieder reden Fanny und er darüber, ob sie nicht doch nach Frankreich, Deutschland oder Kanada gehen sollen. Dazu aber müssten sie heiraten, denn nur Fanny hat europäische Papiere. "Nur für die Papiere will ich aber nicht heiraten", sagt Ernesto, der romantische Kommunistensohn.

"Mich beschäftigt die Frage, ob ich wirklich in diesem Land leben will", sagt Fanny. Sie hat in Paris studiert und sich danach sehr bewusst dafür entschieden, zurück zu kommen nach Beirut. "Ich liebe diese Stadt, aber es ist unmöglich ein Leben hier zu planen." Lange hätte die junge Generation den Alten nicht geglaubt, wenn die warnten, der fröhliche Friede werde nicht halten. "Ich habe erst jetzt begriffen, das sie Recht hatten. Dieses Land ist für den Krieg gemacht." Fanny seufzt und steckt sich noch eine Zigarette an. "Also kann ich hier nicht leben: Ich will eine Zukunft."

Viel Zeit für Kamasutra-Stellungen

Irgendwann fällt dem Paar die Decke auf den Kopf, sie wollen raus, spazieren gehen, später runter ins "Torino", Kaffee trinken. Vor dem Fahrstuhl nach unten zögert Fanny kurz. "Wenn sie jetzt den Strom abschalten, sitzen wir vier Stunden fest", sagt sie. "Viel Zeit, um ein paar Kamasutra-Stellungen auszuprobieren", sagt Ernesto. Fanny grinst: "Das einzig gute am Krieg ist, dass Ernesto seitdem bei mir eingezogen ist." Im Libanon dürfen unverheiratete Paare eigentlich nicht zusammen leben. "Aber hey, es ist Krieg, da haben die Nachbarn andere Dinge zu tun, als sich darüber aufzuregen."

Die Stadt, durch die sich Fanny und Ernesto in diesen Tagen treiben lassen, hat sich scheinbar nur oberflächlich verändert. Souvenirläden, die sonst mit Schnitzereien aus Zedernholz gute Geschäfte machen, bieten jetzt T-Shirts an: "Nicht schießen, Presse" ist draufgedruckt, oder "Heiße Ferien in Beirut 2006". Auf der weltberühmten Strandpromenade Corniche wird bei Sonnenuntergang wieder gewalkt und gejoggt, sitzen wie früher die Familien im Schein von Gaslaternen beisammen. Nur dass heute aus den Autoradios kein Arab-Pop schallt, sondern die sanfte Stimme des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallahs. Beim Edel-Italiener "Olio" ist abends jeder Tisch besetzt, die ärgste Einschränkung ist, dass es seit Tagen kein "San Pellegrino"-Mineralwasser mehr gibt. "Sorry", sagt der Kellner, "das ist der Krieg."

Und doch trügt die Idylle. Beirut ist die Kulisse zu einem Psychothriller, in dem alles in bester Ordnung zu sein scheint, bis das Grauen zuschlägt. Bis die ersten abendlichen Bomben das Mäntelchen der Normalität wegreißen und die Nerven blank legen. Dann sprinten die Müßiggänger an der Corniche beim ersten Wummern der Detonationen zu ihren Autos und rasen mit quietschenden Reifen davon. Irgendwohin, auch wenn es anderswo nicht sicherer ist, Hauptsache Flucht. Dann sitzt am helllichten Mittag mitten auf der Einkaufsmeile Hamra eine junge Frau in ihrem offenen Jeep und schreit sich die Seele aus dem Leib - und die Passanten bleiben nicht einmal stehen. Dann wird zugeschlagen, weil ein Fahrgast das Taxi nicht zahlen kann, weitergefahren, nachdem man beim Einparken ein Auto fahruntüchtig gerammt hat.

"Der Krieg ist in uns", sagt Fanny, die inzwischen im "Torino" sitzt und einen Cappuccino vor sich hat. Ernesto tröstet einen Bekannten: Als einziger hat er in seinem menschenleeren Appartmenthaus ausgeharrt, auch nachdem alle Nachbarn in die Berge geflohen waren. Jetzt hat jemand die Situation genutzt, ist eingebrochen und hat das Laptop des Fotografen gestohlen. "Alle Fotos, ein Jahr Arbeit, einfach weg", sagt er fassungslos.

Am nächsten Tag wollen Fanny und Ernesto mit ein paar Freunden ins Chalet fahren, in eine der Ferienanlagen an der Küste, deren Zimmer mit Blick auf den Pool saisonweise vermietet werden. "Komm doch mit, ein paar Cocktails am Pool und die Welt sieht gleich viel freundlicher aus!." In der Nacht bombardieren israelische Kampfjets die Küstenautobahn nach Norden. Die letzte große Lebensader des Libanon, der Versorgungsweg nach Syrien, ist unterbrochen. Auch Fannys Chalet ist unerreichbar geworden. "Jetzt sind wir in Beirut gefangen", schreibt sie in einer SMS. "Was kommt als nächstes?"

von Ulrike Putz, SPIEGEL ONLINE August 2006