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IM NIEMANDSLAND


aus F.A.Z. vom 20.7.06

Fünfzehn Jahre lang war der Süden des Libanon, ein steinerner Garten, durch den schon Gottes Sohn wandelte, der Welt verlorengegangen. Die Region zwischen Nabatiye und der Grenze zu Israel hatte auch nicht vom jähen Aufschwung Beiruts profitieren können, das sich nach dem Ende des Bürgerkriegs daranschickte, wieder das Paris des Orients zu werden: die flirrende Metropole, eine echte Welthauptstadt. Erst nach dem Abzug der Besatzungsmacht Israel im Mai 2000 durfte man wieder in den Südlibanon reisen. Dafür war nur eine Genehmigung nötig, die man in der Kaserne der libanesischen Armee in Sidon erhielt. Lustlos fragte der Offizier nach dem Grund des Interesses und dem Namen des Hotels in Beirut. Er ließt sich Paß und Visum zeigen und machte Kopien. Reine Formsache, sagte er. Dann war man sich selbst überlassen.

Die Straße in den Süden führte durch steiniges, sonnenverbranntes und menschenleeres Land, über weite Ebenen und durch enge Täler zwischen steilen Bergen, auf deren Gipfel die Reste von Befestigungsanlagen zu erkennen waren. Manche stammten aus den Tagen der Kreuzritter, andere von der israelischen Armee. Über dem Dorf El Khiam thronte ein unverputzter Gebäudekomplex, gespickt mit Stacheldraht. Die Israelis hatten das Konzentrationslager für dreitausend Gefangene ausgelegt, es war ständig überfüllt. So war es den knappen Erläuterungen des einheimischen Führers zu entnehmen. Geplant sei, aus dem ehemaligen Gefängnis eine Gedenkstätte zu machen, die immer an die Verbrechen der Besatzer erinnern werde, sagte er zum Abschied. Das Ausmaß des Hasses in dieser unwirtlichen Gegend vermittelte sich auch dem Fremden sofort.

Nach dem Abzug der israelischen Soldaten verwandelte sich der Südlibanon über Nacht in Hizbullah-Land. Riesige Tafeln am Straßenrand preisen in glühenden Texten und Bildern Anschläge gegen die Armee des Feindes, die sich während der Besatzungszeit genau an dieser Stelle zugetragen haben. Über jedem gesprengten israelischen Bunker weht eine gelbe Hizbullah-Fahne. In Qana gedenkt man in einer neu errichteten Halle mit Fotos und schreienden Gemälden der mehr als hundert Zivilisten, die bei dem israelischen Luftangriff auf den UN-Stützpunkt im April 1996 ums Leben kamen. Auch in der nahen Grotte von Kana blieben wir ganz allein. Dort soll Jesus das erste seiner Wunder vollbracht haben, die Verwandlung von Wasser in Wein. Allein, die Stätte muß noch vom Vatikan beglaubigt werden. Bis dahin sei es nicht einfach, Touristen hierherzulocken, sagt der junge Mann, der anbot, auf unser Auto aufzupassen.
Als sich der Horizont feuerrot zu färben begann, fuhren wir an den Grenzzaun der Israelis.

In Kfar Kila saßen wir auf den Plastikstühlen im Rose Café oberhalb des verbarrikadierten Fatima Gate, des alten Grenzübergangs nach Palästina. Von dort konnten wir nach Israel hineinschauen, in der Ferne waren die Golanhöhen auszumachen und die braunen Gebirgszüge Jordaniens. Ein Auto hielt auf der Straße an, die unter unserer Terrasse entlang der Grenze führte. Der Fahrer stieg aus und blickte lange unbewegt auf den Zaun. Dann drehte er sich um und entblößte sein Hinterteil. Es war ein ruhiger Tag an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon.

A.O.